Donnerstag, 10. April 2014

WIESO NICHT WIR?

Meine Mutter sieht mich an, mit diesem vorwurfsvollen, fast schon flehenden Blick. «Weisst du, ihr könntet es ändern...» Sie spricht von der Schweiz, der Welt, der ganzen Ungerechtigkeit. Aber vor allem von unserer Zukunft. Einer Zukunft, von der wir immer wieder sagen, dass wir sie nicht erleben wollen. Nur müssen wir das, sie ein bisschen weniger als ich, weniger lange und weit weg in einer schönen Berghütte, in die sie sich wohl irgendwann zurückziehen wird. Aber ich, ich bin jung und stehe miten drin.

Also hat sie recht, jedes mal, wenn sie mir sagt: «Weisst du, ihr könntet es ändern...». Doch es motiviert mich nicht, es lässt mich verzweifeln. Denn wenn ich nach links und rechts sehe, sehe wer «wir» sind, verliere ich die ganze Hoffnung. «Wir» haben nämlich schon längst aufgegeben. «Wir» sind zufrieden mit unseren Smartphones, in unserer kleinen Welt, weil sie eben so sein muss. «Wir» sind keine Kämpfer, keine Leute, die eine Meinung vertreten, oder gar eine haben. Denn «wir» sind normal und keiner wagt sich, aus der Reihe zu tanzen. Wer neue Ideen bringt wird ausgelacht, als Spinner abgetan, oder einfach nur ignoriert. Das dürfen «wir» nicht riskieren.
Hinter mir stehen viele junge Leute, die sich den Kopf zerbrechen, wenn sie vor der Klasse einen kurzen Vortrag halten sollten, Menschen, die so viel Sinn für Mut und Gerechtigkeit haben, dass sie ihre Mitmenschen krankenhausreif schlagen und solche, die alle Hände voll damit zu tun haben, nicht mit ihrer Familie in der Armut versinken. Da stehen Jugendliche mit tiefen Narben in der Haut, weil sie sich selbst nicht ertragen und doch nichts an der Welt ändern, Frauen, die eher Nächte lange weinen, als sich selbst zu verteidigen und Männer, die nur ans kiffen denken.

Wie sollen wir kämpfen, in einer Zeit, in der «Demonstrationen» als Werbeaktion einer Kosmetikfirma vermarktet werden, oder in völlig sinnlosen Kämpfen ausarten? Wie können wir gewinnen, wenn jede Aktion von den «Jungen» in den Medien schlecht geredet werden. Wo sollen wir anfangen, wenn uns jede Woche eine neue Hilfsorganisation am Bahnhof zu einer guten Sache überreden will?

Ja, ich würde gerne kämpfen, kämpfen für meine Zukunft, meine Freiheit, mein Recht. Aber auch ich sehe nicht mehr hin, wenn ein Bettler am Strassenrand ums Überleben kämpft, auch ich helfe nicht mehr, wenn mich jeden Tag neue, fremde Konzerne darum bitten, auch ich lasse mich nicht mehr beeindrucken von all den grossen Plakaten mit den traurigen Kinderaugen. Denn, wenn ich schon drei Anläufe brauche zehn Leute dazu zu bringen, sich über ein und dieselbe Sache Gedanken zu machen, wie soll ich dann eine wirkungsvolle Masse erreichen?

Denn «uns» ist alles egal. Wir haben unser eigenes Leben und sind so frei, wie wir es uns einbilden können. «Wir» verstehen unter Gerechtigkeit das, was man uns vorgibt gerecht zu sein. Und das Wort «ich» stellen wir immer vor das «Wir».

Es tut mir leid,
LemontrEe

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